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"I PEEL ... - Ich pelle mich ..." -

Beispiele zum Entdeckenden Lernen

Aus: Moira McKenzie / Wendla Kernig, The Challenge of Informal Education. Extending young Children's Learning in the Open Classroom. London: Darton, Longman and Todd 1972, S. XIV-XVI.
Aus dem Englischen von Karin Ernst.
© für die Übersetzung: Karin Ernst 1986, 2001

Beispiel 1:

Auf dem Tisch lagen Materialien, um Blumenzwiebeln zu pflanzen. Einige Kinder hatten schon Zwiebeln eingepflanzt, als Peter, sechs Jahre alt, eine Zwiebel in die Hand nahm und mit ihr zu spielen anfing. Die Lehrerin beobachtete aufmerksam, wie er zufällig die braune äußere Hülle abrieb und langsam begann, die nächste Schicht abzupellen. Die Lehrerin blieb stumm, aber aufmerksam. Peter pellte die dritte Schicht ab, und die folgende Unterhaltung entspann sich:

Lehrerin: "Was geschieht da?"
Peter: "Das pellt sich, weißt Du... Diese Blumenzwiebel kann man genauso pellen wie eine Zwiebel."
Lehrerin: "Mmmhh, dass seh' ich."
Peter: "Kann man alles pellen?"
Lehrerin: "Was meinst Du denn dazu?"

Peter pellte weiter an der Blumenzwiebel und sagte nichts mehr. Aber während der nächsten zwei Tage machte er eine ganze Menge, das sich für ihn auf "Pellen" bezog:

Schließlich wurde aus einer Reihe von Bemerkungen deutlich, die er machte, als er Farbe von einem Schrank abkratzte, dass er nun dabei war, feinere Unterschiede zu sehen: "Wir pellen es wirklich ab... aber eigentlich ist das gar kein Pellen. Diese Haut wächst nämlich niemals... deshalb ist es keine richtige Haut. Aber man kann eine Haut, die keine Haut ist, trotzdem abpellen, nicht?" (Lehrerin und Kind diskutierten nun Haut und 'richtige' Haut, Tierhaut, Gemüsehaut, welche Haut man gebrauchen kann, usw., was zu Peters Beobachtung führte): "Ist doch gut, dass wir Haut abhäuten können. Ich mag die Haut auf der Milch nämlich nicht... Wofür die wohl gut ist?"

Für das Kind fing der Lernprozess an, als es begann, mit einer Blumenzwiebel zu spielen. Die Lehrerin beobachtete, ohne direkt einzugreifen. Sie sah zu, um mitzubekommen, was passierte und allmählich herauszufinden, um was es dem Kind bei seiner Tätigkeit eigentlich ging. Peter hätte absichtslos spielen können, in Wirklichkeit entzündete sich an seinen ersten Spielereien jedoch alles, was er später tat, um den unterschiedlichen Aspekten des "Pellens" auf die Spur zu kommen: sein Spiel mit Ideen und Worten, die mit "Pellen" verbunden waren, die Fragen, die er stellte und auf die er erste, zögernde Antworten zu geben versuchte, das Einsortieren von Ideen in Kategorien, usw.

In dieser Lernsituation gab es aber auch eine aktive, klug beobachtende Lehrerin. Sie entschied sich dafür, nicht zu schnell einzugreifen, und gab dem Kind damit Gelegenheit, seine eigenen Fragen zu finden. Sie war sich all dessen, was Peter tat, voll bewusst, folgte aufmerksam seinen Gedanken und ermöglichte es ihm, weiter zu kommen, indem sie für mehr Erfahrungen mit dem "Pellen" sorgte und ihm half, seine Ideen in Kategorien einzusortieren. Ihre Fragen und Kommentare waren ein Angebot an ihn, auf Unterschiede aufmerksam zu werden und Ähnlichkeiten zu sehen.

Nun ein ganz anderer Fall.

Beispiel 2:

Ein sechsjähriger Junge war dabei, ein Schiff aus Bausteinen zu bauen. Über lange Zeit widmete er sich mit Hingabe der Aufgabe, die Schiffskanone zum Drehen zu bringen. Seine Lösung bestand schließlich darin, eine Garnrolle als Kanonen-Unterbau zu benutzen. Er hatte schon viele andere Dinge ausprobiert und war für eine Weile hingebungsvoll damit beschäftigt gewesen, bei verschiedenen Gegenständen herauszufinden, ob sie sich drehen würden.

Die Lehrerin betrat die Szene:
Lehrerin: "Das ist ein gutes Boot. Was für eine Sorte ist es denn?"
Kind: "Ein Kampfschiff."
Lehrerin: "Aus welchem Land?"
Kind: "Deutschland."
Lehrerin: "Bau' auch noch ein englisches Schiff... und dann hast du ... wie viele Schiffe? Sag's mir, wenn du fertig bist."
Sie ging weg.

Diesen Ansatz findet man in vielen Unterrichtsformen. Die Lehrerin ließ sich selbst keine Zeit, um heraus zu finden, worauf sich das kindliche Interesse konzentrierte. Sie hatte das Gefühl, sie müsse die Aktivität "mit Bausteinen spielen" dadurch rechtfertigen, daß sie im Namen der Mathematik einen vollkommen irrelevanten Gedanken einwarf: "Wie viele Schiffe hast du, wenn..." Mathematik und Naturwissenschaften hätten sich ganz natürlich aus dem ergeben können, worauf sich das Kind konzentrierte, wenn die Lehrerin sich Zeit genommen hätte, zu beobachten, worauf sich die Aufmerksamkeit des Kindes richtete.

Der Unterschied zwischen diesen beiden Lehrerinnen ist offensichtlich. In beiden Beispielen suchte sich das Kind selbst aus, womit es sich beschäftigen wollte. Im ersten Fall war es ihm freigestellt, so viel oder wenig Zeit auf die gewählte Aktivität zu verwenden, wie es wollte. Peter benutzte die Lehrerin als die Person, mit der er teilen konnte, was er herausgefunden hatte, aber auch als Erwachsene, von der er notwendige Informationen bekommen konnte. Bei ihr konnte er seine Hypothesen testen. In der zweiten Situation fühlte sich die Lehrerin gezwungen, aus dem Spielen mit Bausteinen etwas zu machen, das pädagogisch akzeptabel war. Es gelang ihr nicht, das Problem zu erkennen, das das Kind beschäftigt hatte, um damit zu arbeiten, und sie warf Vorschläge in die Diskussion, die das Kind von seiner eigenen, wichtigen Fragestellung ablenkten.

Die eigentliche Rolle des Lehrers im offenen Unterricht besteht in der Fähigkeit, genau zu beobachten, und aus der Art und Weise, wie das Kind spielt und mit Material arbeitet, aus seinen Fragen und Kommentaren und seinen folgenden Aktivitäten herauszulesen, womit es sich im Kern beschäftigt, um angemessen zum richtigen Zeitpunkt einzugreifen.