zur Homepage Entdeckendes Lernen e.V.
Entdeckendes Lernen e.V.

www.entdeckendes-lernen.de

Ein Verein im Verein "Entdeckendes Lernen"?
Sinn und Zweck des Vereins aus Sicht einer Lernwerkstatt

Am 7. Dezember 2000 fand die alljährliche Mitgliederversammlung des Vereins "Büffelstübchen" - Lernwerkstatt für Kindern, Eltern und LehrerInnen statt. Einstimmig beschlossen die teilnehmenden Vereinsmitglieder, dass das "Büffelstübchen" einem Verein "entdeckendes lernen" beitreten wird. Im Anschluss an die Versammlung stand Angela Schumacher, Vorsitzende des "Büffelstübchen", in einem Interview Rede und Antwort.

Frage: Angela, kannst du kurz erläutern, wer und was das "Büffelstübchen" ist?

Angela Schumacher: Die Lernwerkstatt "Büffelstübchen" wurde vor über zehn Jahren von Professor Brügelmann - damals Uni Bremen - und StudentInnen als eingetragener Verein gegründet. Heute haben wir etwa 100 Vereinsmitglieder, zumeist LehrerInnen und LehramtsstudentInnen. Wir arbeiten in drei Bereichen : An den Nachmittagen treffen sich im "Büffelstübchen" in Fördergruppen SchülerInnen mit Lernproblemen. Eltern lassen sich bei uns beraten - sei es in Einzelgesprächen oder in Veranstaltungen. Manche arbeiten auch aktiv im Verein mit. StudentInnen, AnwärterInnen und LehrerInnen bieten wir vielfältige Fortbildungen an. Uns stehen zwei große ehemalige Klassenräume zur Verfügung, die mit unterschiedlichsten Materialien angefüllt sind.

Frage: Welche Bedeutung hat "entdeckendes Lernen" bei eurer Arbeit ?

Angela Schumacher: Ich glaube, dass entdeckendes Lernen bei unserer täglichen Arbeit im Verein eine sehr große Rolle spielt, ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind. Allerdings haben wir Probleme im Rahmen der LehrerInnenfortbildung die Idee des entdeckenden Lernens an KollegInnen heranzutragen.

Frage: Welcher Art sind diese Probleme ?

Angela Schumacher: Wenn wir im Rahmen der LehrerInnenfortbildung Veranstaltungen anbieten, halbtägige, ein- oder sogar mehrtägige Workshops, die ausdrücklich dem entdeckenden Lernen gewidmet sind, stoßen wir bei StudentInnen und LehrerInnen auf wenig Resonanz. Veranstaltungen fallen sogar wegen fehlender Anmeldungen aus. Wir hören dann : "Das kann man in der Schule ja doch nicht praktizieren!" oder "Das ist mir zu wenig praxisorientiert - ich möchte lieber was machen, was ich schon am nächsten Tag in der Schule umsetzen kann."

Frage: Wie erklärt du dir diese Reaktion der StudentInnen und LehrerInnen ?

Angela Schumacher: Ich denke, wir müssen den Wunsch der LehrerInnen nach unmittelbarer Verwertbarkeit von Fortbildung ernst nehmen. Aber Fortbildung zum Thema "Entdeckendes Lernen" bietet keine fertigen Kopiervorlagen, sondern bedeutet selbst entdeckend aktiv zu werden. Und das ist ein langer Prozess. Auch LehrerInnen, die begonnen haben, ihren Unterricht zu öffnen, haben starke Vorbehalte und Ängste, weil sie befürchten, Vorgaben, die z.B. in Lehrplänen gemacht werden, mit einem am entdeckenden Lernen orientierten Unterricht nicht erfüllen zu können. Der "Erfolg" des Unterrichts scheint ihnen nicht sicher, so bleiben sie bei Gewohntem. Ein weiterer Grund scheint mir die Angst vor der veränderten LehrerInnenrolle zu sein : Der Wunsch, im Unterricht die Kontrolle auszuüben, ist noch immer sehr ausgeprägt. Mit Kindern entdeckend zu lernen, bedeutet auch für LehrerInnen, Lern-Wege, darunter Umwege, und Irrwege, neu kennenzulernen und nicht sofort regulierend einzugreifen. Die Lehrkräfte müssen den Kindern Zeit und Raum geben, die Vielfalt schätzen lernen und die Kinder bei ihren Lernprozessen begleiten und stützen. Ich glaube außerdem eine gewisse Unsicherheit vor den Reaktionen der Eltern beobachtet zu haben. Eltern vergleichen die heutige Schule oft mit ihren eigenen Schulerfahrungen. Manche KollegInnen befürchten, Eltern könnten deshalb entdeckendes Lernen für chaotisch halten.

Frage: Aber viele Eltern sind doch mit dem Unterricht ihrer Kinder unzufrieden. Kann man bei ihnen keine Unterstützung für einen anderen Unterricht finden ?

Angela Schumacher: Auf Elternveranstaltungen machen wir die Erfahrung, wie negativ Eltern - meistens sind es die Mütter - ihre eigene Schulzeit in Erinnerung haben. Sie äußern den Wunsch, ihre Kinder möchten mit Spaß, Freude und Neugierde zur Schule gehen. Die Realität sieht häufig leider anders aus : Eltern klagen darüber, dass ihre Kinder morgens mit Bauch- oder Kopfschmerzen zur Schule gehen , dass zu viele Hausaufgaben am Nachmittag - manchmal von der ganzen Familie - zu erledigen seien, dass es mitunter schwierig sei, mit LehrerInnen ein konstruktives Gespräch zu führen . Ich habe den Eindruck, dass es durchaus möglich ist, Eltern für einen anderen Unterricht zu gewinnen - wenn man eng mit ihnen zusammenarbeitet und sie gleichberechtigt am Schulleben und am Unterricht teilhaben lässt. Wir versuchen das zum Beispiel in Veranstaltungen wie "Elternabende anders gestalten" zu vermitteln, zu denen wir ElternvertreterInnen und LehrerInnen gemeinsam einladen.

Frage: Auch viele LehrerInnen sind mit ihrer Arbeit unzufrieden und suchen nach Wegen, ihre Berufspraxis befriedigender zu gestalten. Bestehen hier keine Ansatzpunkte, entdeckendes Lernen als Alternative aufzuzeigen?

Angela Schumacher: Ich habe den Eindruck, die Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen in den letzten Jahrzehnten stehen für viele LehrerInnen im Vordergrund. Sie haben oft das Gefühl, ihr langjähriger Einsatz finde kaum Anerkennung, und kritisieren mit Recht, dass die Bildungspolitik lange überfällige Forderungen nicht verwirklicht habe. Im Gegenteil, durch Arbeitszeitverlängerung, größere Klassen, Abbau von Fördermöglichkeiten usw. sind unsere Arbeitsbedingungen kontinuierlich verschlechtert worden, während gleichzeitig die Anforderungen an LehrerInnen - hier nur ein Stichwort : "veränderte Kindheit" - gestiegen sind. Nicht umsonst wird im Zusammenhang mit LehrerInnen viel über das "Burn out-Syndrom" diskutiert. Es erfordert viel Kraft, sich Neuem zuzuwenden.

Frage: Habt ihr in eurer Lernwerkstatt Erfahrungen gemacht, wie es trotz schwierige Arbeitsbedingungen leichter fällt neue Wege zu beschreiten ?

Angela Schumacher: Ich glaube ja. Eine Kollegin, die im "Büffelstübchen" arbeitet, orientiert ihren Unterricht sehr weitgehend an den Prinzipien des entdeckenden Lernens. Immer wieder hospitieren LehrerInnen, AnwärterInnen und Studentinnen in ihrem Unterricht. Das Interesse ist groß. Bei der anschließenden Reflexion im "Büffelstübchen" zeigen sie sich sehr interessiert und beeindruckt . Negativ anzumerken ist allerdings, dass AnwärterInnen und StudentInnen nicht selten kritisieren, ihre Ausbildung sei noch immer stark an überkommenen Inhalten orientiert und neuere Erkenntnisse etwa der Lerntheorie fänden relativ wenig Berücksichtigung. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass KollegInnen, die nicht vereinzelt, sondern gemeinsam mit anderen sich auf den Weg machen, ihren Unterricht und ihre LehrerInnenrolle zu verändern, ihre Berufspraxis als sehr viel befriedigender erleben. Ich meine, dass zum entdeckenden Lernen immer das gemeinsame Lernen und der gemeinsame Austausch gehören. Deshalb bieten wir Arbeitskreise an, wo KollegInnen verschiedener Schulen sich treffen können, um gemeinsam Unterricht zu planen. Loslassen können, den Kindern zu vertrauen - das ist keine leichte Situation für Lehrkräfte. Eine Gruppe , in der ohne Druck Ideen und Gedanken ausgetauscht werden, hilft dabei, sich gegenseitig immer wieder Mut zu machen. Ich denke auch, dass es richtig ist mit relativ kleinen Schritten zu beginnen, um so langsam Sicherheit zu gewinnen.

Frage: In welchen Bereichen über die LehrerInnenfortbildung hinaus kommt "entdeckendes Lernen" in der Arbeit der Lernwerkstatt zum Tragen ?

Angela Schumacher: Eigentlich ist die Tatsache, einen Verein mit etwa 100 Mitgliedern, mit einem Etat von über 20 000 DM, mit vielfältigen Veranstaltungen für Kinder , Eltern und LehrerInnen mit Leben zu füllen, entdeckendes Lernen pur. Die Arbeit unseres Vereins wird vom "Büffelteam" getragen. Das sind 15 bis 20 Vereinsmitglieder - StudentInnen und LehrerInnen im Alter von 19 bis über 50 Jahren - , die gemeinsam alle Belange des Vereins diskutieren, beschließen und umsetzen. Dabei treten Fragen und Probleme aus ganz unterschiedlichen Bereichen auf, die gelöst werden müssen: Finanzen und Sponsoring; Organisation und vereinsrechtliche Probleme; Ausgestaltung und Reinigung der Räume ; Öffentlichkeitsarbeit und Verhandlungen mit Behörden ; Supervision und unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit ; Methodik und Didaktik von Fortbildungen ; Planung und Durchführung der Fördergruppen ; Elterngespräche und Zusammenarbeit mit Beratungsstellen. Diese Liste ließe sich noch verlängern. Unsere MitarbeiterInnen übernehmen große Verantwortung und erwerben bei ihrer Arbeit in der Lernwerkstatt sehr umfassende Kompetenzen, die für sie in ihrem Studium und in ihrer Berufspraxis sehr wertvoll sind. Allerdings ist eine Schwäche nicht zu übersehen. Es gelingt uns wegen der vielen alltäglichen Arbeit kaum, mit Ruhe unsere Arbeit zu reflektieren, um Bilanz zu ziehen oder Erfahrungen theoretisch zu verallgemeinern. So haben wir seit langer Zeit nichts mehr über unsere Arbeit publiziert, obwohl viel darzustellen wäre.

Frage: Du hast wiederholt die Fördergruppen für Kinder erwähnt. Spielt bei dieser Arbeit das entdeckende Lernen eine Rolle ?

Angela Schumacher: In unseren Fördergruppen treffen sich einmal wöchentlich für zweieinhalb Stunden Kinder, die große Lernprobleme haben. Oft haben sie keine Lust mehr zur Schule zur gehen. Durch häufige Misserfolgserlebnisse ist ihr Selbstwertgefühl gestört. Bei unserer Arbeit geht es darum, ihnen Erfolgserlebnisse zu ermöglichen und die Persönlichkeiten der SchülerInnen zu stärken. In den Fördergruppen arbeiten die Kinder zum Teil an selbst gewählten Projekten, die sie am Ende in unterschiedlicher Form präsentieren. Diese Projekte basieren auf der Idee des entdeckenden Lernens . Begleitend dazu organisieren unsere MitarbeiterInnen der Fördergruppen Fortbildungen, um sich für ihre Arbeit besser zu qualifizieren.

Frage: Was erwartest du als Vorsitzende des Vereins "Büffelstübchen" von einem Verein "Entdeckendes Lernen"? Welchen Nutzen verspricht sich das Büffelstübchen von einem solchen Verein ?

Angela Schumacher: Ich denke, dass in unserem Gespräch mehrfach anklang, dass wir es oft nicht schaffen , über unsere Arbeit zu reflektieren, sie theoretisch zu begleiten. Ich wünsche mir von einem Verein "Entdeckendes Lernen", dass er ein Forum schafft, solche Diskussionen zu führen. Sei es zum Beispiel auf Treffen und Seminaren zu bestimmten Themen oder in Gesprächsforen im Internet. Ich habe das Gefühl, in diesem Interview viele Fragen angerissen zu haben, von denen ich mir wünschte, sie differenzierter und genauer mit anderen zu untersuchen. Ein Verein "entdecken(d) lernen" kann vielleicht solche Diskussionsprozesse initiieren und gleichzeitig für Kontinuität sorgen .

Es fällt uns schwer, die Idee des entdeckenden Lernens über unsere Lernwerkstatt hinaus bekannter zu machen. Vielleicht kann der Verein "entdecken(d) lernen" dabei helfen, hier erfolgreicher zu sein. Es gibt sicherlich Initiativen und Einrichtungen, die andere Wege als wir beschreiten und damit Erfolg haben. So könnten wir von einem Erfahrungsaustausch profitieren.

Interessant finde ich auch die Idee der VereinsgründerInnen, nicht nur im "schulischen Saft zu schmoren" , sondern den Blick auch auf andere Bereiche zu richten.

Das "Büffelstübchen" ist hier in Stuhr Teil des >Hauses für Kinder, Jugend und Kultur "Alte Schule Jahnstraße" <. In diesem ehemaligen Schulgebäude hat die Gemeinde Stuhr verschiedene Einrichtungen untergebracht. Neben dem "Büffelstübchen" sind dies die Kunstschule Stuhr (KUSS), das Jugendhaus, der Offene Kanal und die Medienwerkstatt. Diese Einrichtungen wollen kooperieren, um Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen der Gemeinde Stuhr ein gemeinsames Angebot zu unterbreiten. Ich denke, dass alle diese Einrichtungen - vielleicht ohne es bewusst zu planen - Ideen des entdeckenden Lernens praktizieren. Das Jugendhaus bietet Jugendlichen einen Raum selbstbestimmt aktiv zu werden, in der KUSS besteht die Möglichkeit kreative und ästhetische Prozesse zu realisieren, die Medienwerkstatt bietet Möglichkeiten Rundfunk und Fernsehen zu machen und dieses über den offenen Kanal sogar der Öffentlichkeit vorzustellen. Vielleicht kann ein Verein "entdecken(d) lernen" es schaffen, Ideengeber und Ort des Austausches solcher Vernetzungsprozesse zu sein.

Ich denke, der Erfolg eines Vereins "entdecken(d) lernen" ist davon abhängig, dass möglichst viele Menschen, Initiativen und Einrichtungen, die sich der Idee des entdeckenden Lernens verbunden fühlen, ihre Fragen und Vorschläge einbringen und auch bereit sind, praktische Arbeit zu übernehmen. Die Lernwerkstatt "Büffelstübchen" ist gern bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitzuwirken.

Angela Schumacher: 28 Jahre, Studium an der Universität Bremen, Lehramt Primarstufe in den Fächern Mathematik und Sachunterricht; seit 1994 in der Lernwerkstatt "Büffelstübchen"; ab Mai 2000 als Lehramtsanwärterin am Ausbildungsseminar Verden/Aller und an der Astrid-Lindgren-Grundschule in Achim