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Entdeckendes Lernen e.V.

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dieter bohn
ruhestand und entdeckendes lernen

seit dem 1.1.2001 bin ich wegen einer chronischen rheumaerkrankung kein lehrer mehr, sondern ruheständer. obwohl ich gern lehrer war, vermisse ich die schule und die arbeit nicht. jetzt kann ich vieles tun, wozu ich früher keine zeit fand. warum dann noch einen verein "entdeckendes lernen" mitgründen?

ich möchte mit einem stichwortartigen rückblick auf meine berufstätigkeit beginnen:

seit 1979 war ich lehrer an einer kooperativen gesamtschule. junglehrerelan. klassenlehrer und mitwirken am aufbau einer gymnasialen oberstufe. unterricht in allen schulzweigen der sekundarstufe l - hauptschule, realschule und gymnasium - und in der gymnasialen oberstufe. gew-betriebsgruppe und personalrat. politik und friedensbewegung. spaß an der zusammenarbeit mit kindern und jugendlichen. vielfältige projekte mit kollegInnen. aber auch deutliche und fortschreitende verschlechterungen der arbeitssituation an der schule. bei mir auch zunehmende unzufriedenheit wegen fehlender unterrichtsmethodischer kenntnisse und fähigkeiten (frontal mit gelegentlichem gruppenunterricht) und wegen der "zerfledderung" meiner arbeit (stoffvermittlung in vielen lerngruppen, wenig pädagogisches handeln). dann unterricht in einer integrationsklasse der orientierungsstufe. beschäftigung mit verschiedenen formen des "offenen unterrichts". langjährige sehr befriedigende teamarbeit in der orientierungssitufe. fächerübergreifende projekte, freiarbeit, wochenplan u.a.m. tätigkeit in der lehrerlnnenfortbildung im team der lernwerkstatt "büffelstübchen". kennenlernen der lernwerkstättenbewegung.

alles in allem für mich persönlich eine sehr befriedigende zeit, aber eine berufstätigkeit in pädagogischen nischen, denn bildungspolitik, schulorganisation und unterricht entwickelten sich meines erachtens im wesentlichen in eine andere richtung.

statt gemeinsames lernen für alle - beibehaltung, z.t. verschärfung der selektion,

statt individualisierung des lernens in kleineren gruppen - weiterhin frontalunterricht in großen lerngruppen,

statt fächerübergreifender projekte - zementierung des 45-minuten-fachunterrichts,

statt selbstbestimmtes entdeckendes lernen - pauken zweifelhafter unterrichtsinhalte,

statt individueller beratung und bewertung der schülerinnen – zensurenzeugnisse und kopfnoten,

statt lehrerlnnenarbeit in pädagogischen teams - vereinzelung der lehrerInnen in ihren kollegien,

statt verkürzung der lehrerlnnenarbeitszeit - verlängerung und intensivierung der arbeitszeit unter inkaufnahme eines zunehmenden burn-out-effektes.

diese liste ließe sich verlängern und differenzieren. zwar existieren regional in- und außerhalb des öffentlichen schulwesens viele schulreformerische vorhaben, die erfolgreich alternativen aufzeigen, aber politisch ist nicht der wille vorhanden, tiefgreifende veränderungen einzuleiten. im gegenteil - alte, längst überholte und in der praxis widerlegte konzepte erfreuen sich "neuer" beliebtheit und werden populistisch propagiert. ich erhoffe mir von einem verein "entdeckendes lernen", dass er einen inhaltlich wichtigen beitrag leisten kann, dieser entwicklung entgegenzutreten.

für mich bündeln sich im "entdeckendes lernen" viele vorstellungen von einer humanen schule, weil dieses lernen bei jedem einzelnen ansetzt und keine fertigen konzepte vermitteln will. für mich bedeutet "entdeckendes lernen", die bedürfnisse und interessen von lehrerInnen, kindern und jugendlichen ernst zu nehmen und zum inhalt von lernprozessen zu machen. ich möchte in einem verein "entdeckendes lernen" mit lehrerinnen zusammenarbeiten, die nach wegen suchen, ihre berufstätigkeit befriedigender zu gestalten.

in den nächsten jahren werden viele lehrerInnen altersbedingt ausscheiden und im vergleich zu den zurückliegenden jahrzehnten viele neue lehrerInnen eingestellt werden (müssen). vielleicht kann ein verein "entdeckendes lernen" hilfreich sein, erfahrene lehrerInnen und neueinsteigerinnen zusammenzubringen. eine gemeinsame auseinandersetzung mit langjähriger berufserfahrung einerseits und ideen aus dem studium und wünschen und erwartungen an die zukünftige berufspraxis andererseits könnte ein schwerpunkt des vereins "entdeckend lernen" im bereich des bildungswesens werden.

für mich waren auch meine erfahrungen als chronisch kranker sehr prägend. dabei habe ich vielfältige einrichtungen des gesundheitswesens (ärzte, krankenhaus, kur u.a.m.) kennengelemt. auch in diesen bereichen sind ausgeprägte hierarchische strukturen festzustellen, die einer sinnvollen beschäftigung mit krankheit und gesundheit, d.h. einem persönlich sehr bedeutsamen lernen, häufig im wege stehen.

deshalb gefällt mir die idee der vereinsgründerlnnen, menschen aus verschiedenen arbeits- und wirkungsbereichen zusammenzubringen. ich erhoffe mir von einem verein "entdeckendes lernen" eine zusammenarbeit mit menschen verschiedener professionen, die ausgehend von der eigenen person gemeinsam entdeckend lernen möchten, um diese erfahrungen in ihren tätigkeitsfeldern professionell umzusetzen.

25.4.2001