Entdeckendes Lernen e.V.![]() www.entdeckendes-lernen.de |
In zwei beruflichen Feldern bin ich in den letzten Jahren vor allem bruflich tätig gewesen: Zum einen unterrichte ich geistig und schwer mehrfachbehinderte SchülerInnen gemeinsam mit SchülerInnen der Regelschulen, einer Beschulungsform, die wir in Bremen "Kooperation" nennen und die sich mittlerweile auf die gesamte Schulzeit, also von Klasse 1 bis 12, von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe 2, erstreckt. Dort lernen Kinder und Jugendliche mit sehr unterschiedlichen Entwicklungsvoraussetzungen und Lernständen zusammen an gemeinsamen Themen.
Seit etwa 4 Jahren arbeite ich als abgeordneter Lehrer im studentischen Team der Grundschulwerkstatt der Universität Bremen mit. Dort lautet die selbst gesteckte Aufgabe u.a., einen "Erfahrungs- und Erprobungsraum für offene Lehr- und Lernformen" zu entwickeln, damit künftigen LehrerInnen die zum Öffnen des Unterrichts notwendigen Kompetenzen nicht allein als Wissen vermittelt werden, sondern auch als Erfahrung.
In beiden Feldern gilt es, Lernsituationen öffnen zu lernen, den unterschiedlichen Fragen und Lernwegen der Lernenden Raum zu geben, dabei mit anderen zu kooperieren, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen, ein selbstreguliertes Lernen zu proben und so in eine veränderte Haltung des Unterrichtens hineinzuwachsen... Das gelingt mit wechselndem Erfolg und nicht ohne Widersprüche, aber es geht voran.
Lernbegleitung
1997 bin ich in Bredbeck zum ersten Mal auf einem bundesweiten Lernwerkstättentreffen dabei. Wir arbeiten eine Woche lang entdeckend zum Thema "Balance". Hier begegnet mir ein Begriff, der für mich neu ist, der mich aber sofort gefangen nimmt, denn er fasst, auch wenn er noch nicht gefüllt ist für mich, etwas zusammen, das mich seit langem beschäftigt. Die Frage nämlich: Was geschieht in Momenten, in denen ich Lernenden (Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen) in einer geöffnet(er)en Situation als Lehrer/Anleiter/Moderator begegne, ihnen Raum für eigene Fragen und ihre eigenen Lernwege lassen will und lasse und meine vertraute Rolle als Vermittler von Wissen und Struktur nicht mehr ausreicht oder sogar überhaupt nicht mehr greift? Ich habe bereits (mit SchülerInnen und Studierenden) einige Erfahrung mit solchen Situationen, fühle mich oft sicher darin, klar und präsent, mitunter verlässt mich meine Sicherheit, der "rote Faden" droht mir verloren zu gehen und das eindeutige und verlässliche Gefühl, dass alles gut läuft. Sind alle bei der Sache? Muss ich etwas tun? Und was? Geht es im Moment darum, auf kompetente Weise und geduldig nichts zu tun? Und was heißt dabei kompetent? Wie lasse ich ohne zu stören Raum für die jeweils eigenen Wege und bin dennoch Mut machend und Sicherheit gebend bei den einzelnen und bei der Gruppe?
Lernbegleitung heißt hier, was ich gern näher fassen würde. Auch für die anderen in Bredbeck ist dieser Begriff noch nicht klar gefüllt, es gibt kein strukturiertes Zusammenfassen der Erfahrungen, aber es wird experimentiert damit, und es gibt einen Austausch am Abschlusstag der Woche.
Ein Jahr später treffen wir uns in Kassel zum nächsten Treffen. Wieder steht ein Workshop im Mittelpunkt. Gegen Ende der Woche präsentieren wir uns wechselseitig die Ergebnisse. Tags darauf sind Kinder der nehegelegenen Grundschule eingeladen, unsere erarbeiteten Ergebnisse zu entdecken und damit zu experimentieren. Ihr Besuch wird zu einem Schlüsselerlebnis für mich. Die Workshop-TeilnehmerInnen, also wir, mehrheitlich erfahren in der Arbeit in Lernwerkstätten, sagen den Kindern, wie sie mit unseren Ideen und Ergebnissen umzugehen hätten. "Nein", höre ich, "so musst du das machen!" und ähnliche Sätze, die den Kindern die Möglichkeit nehmen, unbefangen und völlig frei auf das angebotene Material zuzugehen. Nicht wenige von uns halten nicht aus, wenn die Kinder ganz andere Wege probieren, als die von uns vorgesehenen. Offensichtlich fehlt uns da noch manches an Kompetenz in Sachen Lernbegleitung.
Wieder ein Jahr weiter
thematisieren wir auf dem Treffen in Calw diese Frage und beschließen,
Lernbegleitung als Forschungsfeld fest in unsere jährlichen Treffen zu
institutionalisieren. Bisher begleiten die schon seit Jahren Erfahrenen unser
Entdeckendes Lernen im Workshop. Künftig sollte möglich sein, dass
TeilnehmerInnen wählen können, ob sie in der Woche zum jeweiligen
Thema entdecken und forschen möchten, oder ob sie sich (auch als "AnfängerInnen"
mit all ihrer möglichen Unsicherheit) beim Begleiten des Entdeckenden
Lernens der WorkshopteilnehmerInnen erfahren wollen und mit den anderen (erfahrenen
und noch unerfahrenen) LernbegleiterInnen darüber in einem strukturierten
Austausch Erfahrungen, offene Fragen und Ergebnisse festhalten, bearbeiten
und in den gesamten TeilnehmerInnen-Kreis zurückspiegeln. Zwei Ziele
wollten wir dabei im Auge haben: 1. Die LernbegleiterInnen bekommen eine solidarische
Rückmeldung auf ihre Begleitung und können sich im Begleiten von
Situationen offenen und entdeckenden Lernens in Richtung eines für sie
stimmigen Stils der Begleitung weiterentwickeln und 2. können alle gemeinsam
Bausteine einer "guten" Lernbegleitung herausfiltern, erforschen,
diskutieren und festhalten. Dieses Feld ist, finden wir, erst in Ansätzen
bearbeitet.
Vorläufig wartet dieses Vorhaben noch auf seine Umsetzung.
Von einem Zusammenschluss zur Förderung und Weiterentwicklung Entdeckenden Lernens erhoffe und verspreche ich mir vor allem, dass sich der Begriff der "Lernbegleitung" in allen Lern- und Wandlungsprozessen für mich persönlich, aber auch im öffentlichen Diskurs nach und nach weiter strukturiert und füllt. Nicht allein für den Kopf, sondern auch und besonders für mein Handeln. Ich bin gespannt auf einen fruchtbaren Austausch und freue mich darauf.