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Entdeckendes Lernen e.V.

www.entdeckendes-lernen.de

 

Sabine Zocher, Lehrerin für Pflegeberufe, Pflegedienstleitung einer Gerontopsychatrie, Köln

Meine beruflichen Erfahrungen der letzten Jahre beziehen sich auf die Aus- und Weiterbildung in Pflegeberufen und auf die Führung von Mitarbeitenden in Gesundheitsberufen.

Ich finde am Entdeckenden Lernen besonders spannend, dass dies ein Weg ist, den Anderen wirklich zu verstehen. Dies geschieht, indem ich mich über die Auseinandersetzung mit meinen eigenen Konzepten begreifen lerne. Auf diesem Weg wird versucht, Zugang zur eigenen Haltung zu finden - konkreten Dingen, wie auch abstrakten Themenstellungen gegenüber. Auch in der Pflege von alten, kranken oder verwirrten Menschen geht es in erster Linie um Verstehensprozesse dieser Art und nicht darum, einwandfreie Ratschläge zu geben, richtige von falschen Verhaltensweisen zu differenzieren etc.. Über die Verständigung sollen Lernprozesse initiiert und angebahnt werden, die die Entwicklungsaufgaben klären und bearbeiten helfen.

In einem Workshop zum Entdeckenden Lernen habe ich das Lernverständnis selbst erfahren können:

Zum Phänomen "Farben" habe ich gearbeitet und dabei zunächst gar nicht begriffen, wie wenig ich über Farben wußte und verstanden hatte. Über persönlich entwickelte Forschungsfragen konnte ich meine Annahmen im persönlichen Tempo überprüfen. Hierbei wurden meine Misskonzepte und irrigen Annahmen sichtbar. Diese Konfrontation stellte für mich eine intensive Erfahrung dar. In Experimenten, Gesprächen, Beobachtungen usw. konnte ich diese Konzepte hinterfragen, verändern und erweitern.

Übertragen auf meine Arbeitsfelder in Pflegeberufen wurde mir deutlich, wie wichtig entsprechend der persönliche Hintergrund zu Themenstellungen wie "Gesundheit", "Gesund bleiben", "Krankheit" etc. bei der Pflegekraft sein muss, um überhaupt kranke oder behinderte oder alte Menschen produktiv zu begleiten, denn Lernprozesse führen nur dann zu Verhaltensänderungen, wenn der "Betroffene" sie will. Dies wiederum ist nur dann der Fall, wenn der "Betroffene" sie in seine Deutungs- und Wahrnehmungsmuster einbauen kann. Dazu müssen seine Konzepte und Theorien erst einmal Raum bekommen, sichtbar gemacht und ohne Abwertung oder Zurechtweisung zur Kenntnis genommen werden. An ihnen entlang entwickelt sich der begleitenden Pflegeprozess.

Mich interessiert, inwiefern Entdeckendes Lernen - als Workshopangebote für professionell Pflegende - sie dabei unterstützen kann, ihren eigenen Fragen aktiv nachzugehen, um

1. ein Bewußtsein für das eigene Verständnis und Handeln zu entwickeln,

2. eine andere Gesprächskultur zu fördern, die mehr fragend und dialogisch vorgeht und

3. einen Arbeitsansatz zu kreieren, der das klassische Rollenverständnis in der Pflegesituation, das gegenseitige Mißtrauen und die Bevormundungsstrategien auflöst.

So wie Lehrer sich vielleicht plötzlich fragen, was und wie ihre Schülerinnen und Schüler eigentlich denken, so stellt sich für Pflegende zunehmend die Frage, wie denkt der Patient oder Klient? Wie sieht der chronisch kranke Patient, der psychisch verwirrte, aber physisch intakte alte Mensch seine Gesamtsituation? Welche Ressourcen stehen ihnen zur Verfügung? Wie gehen Angehörigen und Freunde mit der Situation um?

D.h., wie jedes Phänomen, sind auch "Gesundheit" und "Krankheit" höchst komplexe, individuelle Konstrukte. Entdeckendes Lernen stellt ein Lehr- und Begleitungsverständnis dar, dass für professionelle Pflegeprozesse reichhaltige Anregungen bietet und durch die Diskussionen in diesem beruflichen setting bereichert werden kann. Der Austausch mit anderen Professionellen, die sich diesem Konzept verbunden fühlen, interessiert mich auch besonders im Hinblick auf die Umgestaltung organisationeller Rahmenbedingungen bzw. im Hinblick auf die Entwicklung entsprechender Strategien zur Veränderung von Strukturen und festgefahrenen Handlungsabläufen in Institutionen.

Ich sehe in diesem pädagogischen Professionalisierungs- und Entwicklungszusammenhang wichtige Anschlußstellen und Verknüpfungsnotwendigkeiten mit anderen Konzepten wie z.B. mit der Salutogenese, der Pflegetheorie allgemein/Patientenedukation, der Organisationsentwicklung und der Kinästhetik.