„Wir sind gleichsam Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres als diese sehen zu können – freilich nicht dank eigener scharfer Sehkraft oder Körpergröße, sondern weil die Größe der Riesen uns zu Hilfe kommt und uns emporhebt.“
Bernhard von Chartres
Zur Entwicklung Entdeckenden Lernens – Inquiry Based (Science) Education – haben viele Menschen und Projekte über einen langen Zeitraum beigetragen. Diese Lernweise ist nicht, wie die Montessori- oder Freinet-Pädagogik, mit einer tragenden Persönlichkeit verbunden, die ein Set charakteristischer Merkmale oder Materialien geschaffen hat, an denen man sich orientieren kann. Es gibt vielmehr vielfältige Spielarten und Entwicklungen, dabei eine enge Verbindung zur Lernforschung.
Einige Frauen und Männer haben diese Pädagogik jedoch in besonderer Weise geprägt und uns inspiriert. Deshalb sollen sie hier kurz vorgestellt werden.
Lillian Weber (1917 - 1994) gehört zu den einflussreichsten Persönlichkeiten der amerikanischen Schulreform. Als erfahrene Vorschulpädagogin erforschte sie in den 1960er Jahren den "informellen", kind-orientierten Ansatz in englischen Vor- und Grundschulen, überprüfte ihn auf seine Übertragbarkeit in amerikanische Verhältnisse und ‘erfand’ den Offenen Unterricht unter New Yorker Bedingungen neu. Eine zentrale Rolle spielten in ihrer Arbeit der "City College Advisory Service", durch den sie erfahrene Lehrkräfte in interessierte Schulen als Berater*innen zur Veränderung des Unterrichts schicken konnte, und das "Workshop Center for Open Education", das sie 1972 als Treffpunkt und Fortbildungseinrichtung begründete und das später zum Vorbild der ersten deutschen Lernwerkstätten wurde. Aber nicht nur diese Institution ist für uns spannend und inspirierend, sondern vor allem Lillian Webers Nachdenken über das, was Öffnung des Unterricht ausmacht. Dazu gibt es auf dieser Website ein Interview aus dem Jahr 1993: Mit der Gründung der Lernwerkstatt an der TU Berlin 1981 und einem ersten Besuch im Workshop Center entstand eine langjährige Zusammenarbeit zwischen beiden Einrichtungen auf der Basis von Besuchen, Fortbildungen und Tagungen. Auf Einladung des Modellversuchs "Sozialisationshilfen für ausländische Kinder in der Grundschule" der FU Berlin und anderer Berliner Einrichtungen besuchte Lillian Weber 1983 zwei Wochen lang Kreuzberger Schulklassen mit sich öffnendem Unterricht, hielt Vorträge und leitete einen Workshop in der TU-Lernwerkstatt. Sie beeindruckte dabei besonders durch ihre Art, im Gespräch mit der Lehrkraft beobachtete Probleme und Schwächen freundlich-bestimmt aufzugreifen und kleine, aber grundlegende und wirksame Veränderungsmöglichkeiten aufzuzeigen, ohne den Lehrkräften je das Gefühl zu geben, nicht kompetent genug zu sein. Lillian Weber hat vielfältige Gebrauchstexte zur Unterstützung von Veränderungen im Schulalltag geschrieben - "Wasser und Sand" als einer davon ist auf unserer Website zu finden - , hatte aber kaum Zeit für umfassende schriftliche Werke. Es gibt von ihr zwei Bücher, die auch heute noch vielfältige Anregungen geben können: Die Lillian Dropkin Weber Papers stehen im Archiv des New Yorker Bank Street College für Forschungszwecke zur Verfügung. Hubert Dyasi, geb. 1935, ist Professor (em.) für die Didaktik der Naturwissenschaften in New York. Ursprünglich in Südafrika als Lehrer ausgebildet, hat er seit den 60er Jahren Reformprojekte zur naturwissenschaftlichen Bildung in Afrika geleitet (African Prmary Science Program, Science Education Program for Africa) und die Grundlagen Entdeckenden Lernens zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus den USA, Großbritannien und den Niederlanden entwickelt. Die aktive, lernende Auseinandersetzung mit der lokalen Umgebung und ihren alltäglichen Ressourcen stand dabei von Anfang an im Mittelpunkt. 1985 übernahm Dyasi von Lillian Weber die Leitung des Workshop Center am City College in New York. Den deutschen Lernwerkstätten ist er eng verbunden. U.a. konnten wir ihn, seine Frau, Prof. Rebecca Dyasi, und seinen Kollegen Stan Chu (heute Bank Street College, NYC) für die Leitung der Lernwerkstätten-Fachtagung 1995 gewinnen. 2011 hat Hubert Dyasi die Keynote zur Eröffnung der Lernwerkstatt an der Hans-Fallada-Schule in Berlin gehalten und zusammen mit Becky Dyasi praxisorientierte Workshops angeboten. Hubert Dyasi ist ein durch viele Ehrungen und Preise ausgezeichneter Wissenschaftler und Pädagoge, der in den USA über die Grenzen der Einzelstaaten hinweg zur Reform der naturwissenschaftlichen Bildung beigetragen hat. Dazu gehört auch die Mitarbeit an den National Science Education Standards der 1990er Jahre, deren Grundlage die Prinzipien Entdeckenden Lernens ("Inquiry") sind. Gleichzeitig hat er sich immer wieder in der Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern vor Ort und der Beratung von Schulen engagiert und mit ihnen an exemplarischen Beispielen Wege zum veränderten Lernen im Schulalltag erarbeitet. Heute ist Hubert Dyasi als Berater für nationale und internationale Organisationen tätig, u.a. für die UNO. Als Mitglied des InterAcademy Panel der weltweiten Vereinigung der Akademien der Wissenschaften hat er an Grundsatzerklärungen und Büchern mitgearbeitet. Zum Lesen: Link zu Wikipedia
Lillian Weber
Hubert M. Dyasi
David Hawkins
Darstellung Anfang des 15. Jahrhunderts (public domain, Quelle: Wikipedia)
Zur Geschichte und Bedeutung des Zitats von den Zwergen und Riesen siehe Wikipedia.